Als Fernsehen noch Qualität hatte
Wie war Fernsehen in den 1970er- und 1980er-Jahren? Nun, abgesehen davon, daß es nur die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF gab - die übrigens nur 12 Stunden pro Tag Programm sendeten - und daß inzwischen eine wahre Revolution auf dem Gebiet der Verbreitungstechnik sowie der Empfangsgeräte und -qualität stattgefunden hat, war es fast so wie heute. Das 1967 offiziell vom damaligen Vizekanzler Willy Brandt auf der IFA Berlin durch symbolischen Knopfdruck gestartete Farbfernsehen, das nach der von Prof. Walter Bruch entwickelten PAL-Norm (Farbsignalzerlegung gemäß des auch in GIMP verfügbaren Farbmodells YCbCr ITU R470 bzw. des verwandten YUV-Modells) arbeitete, hatte sich bereits Mitte der 1970er-Jahre weitestgehend durchgesetzt.
Natürlich hinkte es dem heutigen Fernsehen in mehreren Aspekten hinterher, da zahlreiche vor allem computergestützte technische Möglichkeiten noch nicht verfügbar waren oder erst gerade verfügbar wurden. Aber es hatte dem heutigen Fernsehen auch wichtige Dinge inhaltlicher Art voraus: Es war lehrreich, informativ und in einem positiven Sinne unterhaltsam. Dies galt insbesondere für das damals von mir bevorzugte ZDF, was mit dem spürbaren Einfluß des legendären Gründungsintendanten Prof. Karl Holzamer (1906-2007) zu tun haben dürfte, der von 1962 bis 1977 die Geschicke des Senders leitete und als Philosoph, Pädagoge und bekennender katholischer Christ besonderen Wert auf die Vermittlung von Bildung, Moral und Glauben legte.
Nachrichten-Ethos damals und heute
In den 1970er- und 1980er-Jahren waren Nachrichten wirklich Nachrichten und nicht als Meldung verpackte
Meinungsmache. Die Trennung zwischen Meldung und Kommentar wurde genau beachtet. Das
Leitprinzip der Nachrichtenredakteure war: Nicht mit Meldungen Partei ergreifen, sondern „Distanz halten,
sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit
versinken...“ (Hanns-Joachim Friedrichs, Journalist, heute- und tagesthemen-Moderator, kurz vor seinem
Tod im März 1995).
Der heutige, in dieser Form erst zu Beginn des neuen Jahrtausends aufgekommene Gesinnungs-, Empörungs- und
Betroffenheitsjournalismus hat diesen Grundsatz komplett über Bord geworfen -
neben dem immer stärker durchschimmernden verheerend arroganten Menschenbild vom Medienkonsumenten
die Hauptursache der gegenwärtigen „Krise der etablierten Medien“.
im Fernsehen
Bis heute unvergessen bei allen MINT-Begeisterten ist die 52-teilige ZDF-Serie
Studienprogramm Chemie,
die in 4 Staffeln von 1975 bis 1982 produziert und bis 1986 gesendet wurde. Mit dieser Sendung betrieb das
ZDF wirklich MINT-Förderung auf höchstem Niveau, praktisch unerreicht von allen nachfolgenden
Sendungen mit MINT-Bezug.
Heute steht statt hochkarätiger Wissenschaftsbildung flaches „Edutainment“ hoch im Kurs und
wird der Allgemeinheit überdies noch als „MINT-Förderung“ verkauft, womit der falsche
Eindruck erweckt wird, Wissenschaftsbildung sei nur mit Spaß und Entertainment sowie ohne Anstrengung und
Faktenkenntnis zu haben. Allein die Tatsache,
daß das ZDF diese Serie weder in seiner Mediathek noch als verkäufliches DVD-Set anbietet, sowie der
Umstand, daß die Produktion einer vergleichbaren Sendung heute unvorstellbar erscheint, spricht Bände
über die Abneigung des postmodernen Zeitgeists gegen faktenbasierte MINT-Themen und zeigt, welcher Wert den
heutigen wohlfeilen MINT-Lippenbekenntnissen von Politik, Medien und Kultusbehörden tatsächlich
zuzumessen ist.
Legendäre Serien und Formate
Die 1970er- und 1980er-Jahre waren nicht nur die Zeit anspruchsvoller Quizsendungsformate wie „Der große Preis“, die heutige Fernsehunterhaltung um Längen in den Schatten stellen, sondern besonders im ZDF auch die Zeit der großen Kinder-Zeichentrickserien. Wickie (ab 1974), Biene Maja (ab 1976), Pinocchio (ab 1977) und Heidi (ab 1977) zogen Millionen kleiner und großer Zuschauer in ihren Bann.
Das ideologisch mißbrauchte „Nanny-TV“ von heute
Etwa seit 2005, stärker noch seit 2008, werden insbesondere Krimis, Soap-Formate und Kinderserien wie auch Kinder-Nachrichten zunehmend als volkspädagogisches Indoktrinationsmittel im Sinne der Zeitgeist-Ideologie mißbraucht, um Kindern und Erwachsenen ideologisch „auf die Pelle zu rücken“ und ihnen „nahezubringen“, wie heute das Zusammenleben von Menschen auszusehen habe und innerhalb welcher Grenzen sich ein „zulässiger“ Diskurs bewegen dürfe. Dieses „Nanny-TV“ gab es in den 1970er- und 80er-Jahren definitiv nicht.
Mehr zum Fernsehen vergangener Jahrzehnte mit einer Fülle an Informationen, Videoausschnitten und zeitgeschichtlichen Publikationen findet sich auf der Website retro TV.
„Videotext für alle“ - das TV-Unikum der 1980er
Besonders legendär war „Videotext für alle“, ein 15-minütiges Sendeformat, das ab Oktober 1982 nach dem Ende des Vormittagsprogramms und vor Beginn des Nachmittagsprogramms gesendet wurde (damals gab es eine mittägliche Sendepause von knapp 3 Stunden sowie eine nächtliche Sendepause von etwa 9 Stunden) und eine Auswahl der Videotext-Tafeln (z.B. Nachrichten und Wettermeldungen) in vorgegebener Zeitabfolge brachte, begleitet von meist instrumentaler Hintergrundmusik. Die folgende Bildleiste vermittelt einen visuellen Eindruck:
„Videotext für alle“ wurde als Angebot für Fernsehzuschauer ohne Videotext-Decoder geschaffen, die den seit 1980 im Testbetrieb laufenden „echten“ Videotext nicht empfangen konnten. Mit der Aufnahme des Regelbetriebs 1990 und der Ausweitung der Sendezeiten von ARD und ZDF wanderte „Videotext für alle“ ins Nachtprogramm und verschwand nach der Umstellung auf 24-Stunden-Sendebetrieb bis 1997 endgültig aus dem Programm.
Das heutige Interesse an „Videotext für alle“ konzentriert sich vor allem auf die verwendete Hintergrundmusik, die offenbar zu einem nicht unerheblichen Teil aus Auftragskompositionen oder aus speziellen, nur bei „Videotext für alle“ gespielten Versionen bekannter Titel bestand. Vor allem weil viele Titel mir bis heute nicht namentlich bekannt sind, kann ich aus meiner Erinnerung heraus nur eine bescheidene Liste der seinerzeit gespielten Titel erstellen:
- J.S.Bach, Orchestersuite Nr.3 D-Dur BWV 1068, Air, transponiert nach F-Dur und mit Bläserduo im ersten Viertel, bevor Streicher und leichte Rhythmusinstrumente einsetzen
- Joaquín Rodrigo, Concierto de Aranjuez, Adagio (2.Satz), aufgepeppte rhythmische Orchesterversion (Easy Listening), nach f-moll transponiert
- Isaac Albéniz, Asturias-Leyenda, aus Cantos de España op.232 bzw. Suite Española op.47, v.a. im Mittelteil veränderte Version
- Unbekannter „russisch-slawisch“ klingender Marsch f-moll eines unbekannten Komponisten
- Neil Diamond, Dear Father, instrumental
- Gilbert O'Sullivan, Clair, instrumental, transponiert nach C-Dur
- Beatles, Michelle, instrumental
- Beatles, Penny Lane, instrumental, mit im Original nicht vorkommender zusätzlicher Strophe vor dem letzten Refrain
- Harry Simeone, Little Drummer Boy, vokal, gegenüber dem Original leicht verändert
- Ennio Morricone, Nicola and Bart, instrumental (spezielle Orchesterversion)
- Claude Debussy, Suite bergamasque, Clair de lune, spezielle Version, die in der Mitte endet (Easy Listening)
- Ludwig van Beethoven, Mondscheinsonate, Orchesterversion
- Sergej Rachmaninoff, Rhapsody on a Paganini Theme, Variation XVIII, geringfügig veränderte Version
- James Last / Jackie Rae / Andy Williams, Happy Heart („Ritter-Sport-Musik“ 1979-1989)
- Bacharach / David / Dionne Warwick / Aretha Franklin, I say a little prayer (Forever and ever, you'll stay in my heart), instrumental
- Stevie Wonder, You are the sunshine of my life, instrumental
- Petula Clark, Don't sleep in the subway, instrumental
- Herb Alpert, Casino Royale
- Gazebo, I like Chopin, instrumental
- Hugo Egon Balder, Erna kommt (Original von Wolfgang Lippert)
- Pat Boone, April Love
- Michael Gore, Terms of Endearment Theme (Version mit leicht verändertem Arrangement)
Ein kurzer Foren-Thread zu diesem Thema ist auf TVforen zu finden.
Weitere Informationen über den ARD/ZDF-Videotext sowie „Videotext für alle“ finden sich hier:
- Herzlichen Glückwunsch, Retro-Fernsehen: 20 Dinge über Videotext - Artikel von Daniel Schieferdecker auf jetzt.de vom 30.05.2010
- Der Fernsehfriedhof: Zaungäste erwünscht - Artikel von Christian Richter auf quotenmeter.de vom 15.03.2012